IVSH Bürokratiemonitor 2024: Bürokratie als Wachstumsbremse – wir verwalten uns zu Tode
Der IVSH-Bürokratiemonitor 2024 zum Download
Download IVSH-Bürokratiemonitor 2024Der Industrieverband Schneid- und Haushaltwaren (IVSH) präsentiert seinen Bürokratiemonitor 2024 und warnt eindringlich vor den Folgen der wachsenden Bürokratielast für die Unternehmen der Branche. Der diesjährige Monitor zeigt, dass die bürokratischen Anforderungen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen sind. „Wir sind dabei, uns zu Tode zu verwalten“, so der IVSH. An dem IVSH-Bürokratiemonitor haben sich über 70% der IVSH-Mitglieder beteiligt – er gibt repräsentativ die Lage der Branche wieder.
Insbesondere Mittelstand unter Druck – Bürokratie erstickt Wachstum
Der IVSH-Bürokratiemonitor 2024 dokumentiert das Ausmaß der Bürokratiebelastung, die vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) der Branche hart trifft. Während Großunternehmen in der Regel über die Ressourcen verfügen, um die Menge regulatorischer Anforderungen halbwegs zu bewältigen, fehlen hierfür den KMU die notwendigen Kapazitäten, was nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich schwächt. In einer Branche die stark mittelständisch geprägt ist (fast 90% der Unternehmen sind KMU) hat dies besonders gravierende Folgen. Der IVSH-Bürokratiemonitor zeigt, dass sich die Bürokratiekosten für KMU auf bis zu 3 % des Jahresumsatzes belaufen. Diese Zahl ist alarmierend, da sie wertvolle Ressourcen für Innovation, Wachstum und nicht zuletzt den Erhalt und auch den Ausbau von Arbeitsplätzen bindet.
Verwaltungsaufwand blockiert Zukunftsinvestitionen
Über 90 % der befragten Unternehmen gaben an, dass sie sich durch die Bürokratie in ihrem unternehmerischen Handeln eingeschränkt fühlen, 55 % sogar stark oder sehr stark. Besonders schwerwiegend ist, dass die zusätzliche Bürokratie nicht nur Zeit raubt, sondern auch dringend benötigtes Kapital für Investitionen und Innovation in Bezug auf neue Produkte, Technologien und Verfahren bindet. So geben 92 % der Unternehmen an, dass die durch Bürokratie verursachten Kosten in den letzten fünf Jahren gestiegen sind. Es überrascht nicht, dass die Mehrheit der Unternehmen angibt, sich in ihrem unternehmerischen Handeln zunehmend durch Bürokratie gebremst und auch ausgebremst zu fühlen.
EU-Verordnungen als besondere Belastung
Auch wenn der IVSH die Bemühungen der Bundesregierung, z.B. im Rahmen des Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV), ausdrücklich anerkennt, so werden die hier realisierten Entlastungen durch einen Tsunami an neuen Regulierungen aus Brüssel negativ überkompensiert.
Ein zentrales Problem stellen die wachsenden regulatorischen Anforderungen der EU der letzten Jahre dar. Der IVSH nennt Beispiele wie die Produktsicherheitsverordnung (GPRS), Entwaldungsverordnung (EUDR) und diverse weitere Verordnungen wie die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder die neue Eco-Design Verordnung. Dieser Regulierungstsunami erzeugt in seiner aktuellen Form eine unübersichtliche Flut an Berichtspflichten und Nachweisdokumenten.
„Diese Verordnungen sind oft praxisfern, handwerklich mangelhaft und berücksichtigen die Realität des Mittelstands nicht – dies gefährdet zunehmend unseren Standort und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie“, kritisiert Jan-Frederik Kremer, Geschäftsführer des IVSH. Besonders KMU sehen sich durch die teils unrealistisch kurzen Übergangsfristen, enormer Komplexität und unzureichenden Leitfäden und fehlenden Informationen überfordert. Hierbei besonders gravierend: Lasten und Pflichten und Berichtswesen werden vermehrt auf KMU abgewälzt und in der Lieferkette weitergereicht. Doch auch redundante Dokumentations- und Meldepflichten, die mangelnde Effizienz und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, sowie z.T. exzessiv ausgeübte Überwachungs- und Kontrollpflichten lähmen und behindern markwirtschaftliche Dynamik und können zu einer Kultur des Misstrauens beitragen, so die Erkenntnis aus dem IVSH-Bürokratiemonitor.
Auswirkungen der Bürokratiebelastungen
Der Bürokratiemonitor zeigt auf, dass die steigenden Aufwände für Bürokratie gravierende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Branche haben. Statt sich auf ihre Kernaufgaben und die Entwicklung neuer Produkte konzentrieren zu können, müssen Unternehmen immer mehr Zeit, Geld und Ressourcen in bürokratische Prozesse investieren. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit aus, sondern führt auch zu höheren Produktpreisen, die sich derzeit am Markt nicht durchsetzen lassen – ein Teufelskreis. Zudem sehen sich viele Unternehmen gezwungen, Fachpersonal speziell für die Bewältigung der Bürokratie einzustellen, welches derzeit am Arbeitsmarkt kaum, und wenn, nur sehr kostenintensiv zur Verfügung steht. Das alles in einer Zeit, in der viele Unternehmen der Branche vor großen internationalen Wettbewerbsheruasforderungen stehen, die eigentlich die ungeteilte Aufmerksamkeit erfordern.
Weitere Entlastungen sind möglich - und dringend nötig
Trotz der ernüchternden Ergebnisse macht der IVSH-Bürokratiemonitor vielfältige Vorschläge für Lösungsansätze und ruft zu schnellem und entschlossenem Handeln auf. Hierzu brachten die Unternehmen diverse konkrete Anregungen aus der Praxis ein, u.a:
- Bürokratieabbau und Entlastung der Unternehmen: Einführung eines Bürokratie-TÜVs und KMU-Check für EU, Bund und Länder, der neue Gesetze und Verordnungen auf ihre Praxistauglichkeit und den bürokratischen Aufwand hin überprüft. Verpflichtende prozessorientierte Praxistauglichkeits- und Redundanzprüfung („im doing“) aus Sicht von beispielhaften KMU („KMU Labs“), inkl. Praxistests neuer Gesetze und Verordnungen in Testregionen/Testbranchen, bevor sie flächendeckend eingeführt werden. Nur bei erfolgreichem Test: go live. Regelmäßige Überprüfung und Verschlankung bestehender bürokratischer Anforderungen. One in, one out Prinzip ernst nehmen und Augenmerk in der EU auf Reduktion von Regularien, nicht dem Schaffen Neuer legen.
- Digitalisierung und Vernetzung: Eine verbesserte, digitale Infrastruktur und die Vernetzung der Behörden könnten helfen, doppelte Meldepflichten zu reduzieren und Redundanzen abzubauen. Entwicklung und Bereitstellung von standardisierten, digitalen Lösungen und Daten-Hubs zur Erfüllung von Meldepflichten und Umsetzung von Compliance-Pflichten.
- EU-Verordnungen neu denken: Eine Reduktion der Komplexität und praxisorientierte Lösungen für KMU müssen Priorität haben. Neue Verordnungen sollten zwingend auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. Ein verbindlicher und belastbarer KMU-Check muss eingeführt werden. Umsetzung und Synchronisierung von Standards z.B. im Rahmen des Reporting von Nachhaltigkeitszielen und CO2 Emissionen und Nutzung von einheitlichen Datenstandards und Hubs/Schnittstellen (z.B. CBAM, CSRD, CS3D, EcoDesign, etc.) um Mehrfachangaben zu vermeiden.
- Partnerschaftlicher Umgang mit Behörden: Eine engere Zusammenarbeit mit den Behörden, die sich stärker als Partner in der Umsetzung und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit verstehen und nicht nur als Kontrollinstanz agieren sollten.
- Weitere Vereinfachung der Meldepflichten: Reduktion der Häufigkeit von statistischen Meldungen (z.B. von monatlich auf vierteljährlich). Überprüfung der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit bestehender Meldepflichten und Abbau von Doppelungen, bzw. Schaffung von Datenpools, Schnittstellen oder Hublösungen - insbesondere für statistische Daten oder z.B. im Kontext der eAU.
„Wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln und gegensteuern, insbesondere in Bezug auf Regelungen aus der EU, werden wir noch mehr Arbeitsplätze verlieren und die Innovationskraft der Branche möglicherweise irreparabel gefährden. Es droht auch in unserer Branche eine Deindustrialisierung“, so der IVSH-Vorsitzende Ralf Zimmermann. Der Verband appelliert eindringlich an die Politik, die Notwendigkeit eines umfassenden Bürokratieabbaus und einer Stärkung des Standortes ernst zu nehmen und die vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Gerade in der EU muss hier weiter die gesamte politische Stärke Deutschlands in die Waagschale geworfen werden. Hierzu sind wir auch in einem dauerhaften und konstruktiven Dialog mit MdB, MdEP und Ministerien.